Annenpost.at, Graz

Graz, 2011

Interview mit Architekt Wladimir Goltnik über das Annenviertel
(16. November 2011)

http://www.annenpost.at/2011/11/16/%e2%80%9egestaltung-allein-ist-zu-wenig%e2%80%9c/

„Gestaltung allein ist zu wenig“

Nur am Namensschild an der unscheinbaren Fassade erkennt man, dass man an der richtigen Adresse ist. Hier, in der Dominikanergasse 10a, hat der Architekt Wladimir Goltnik sein Büro eingerichtet. Hinter dem Eingangstor gleich die nächste Überraschung: Es sieht eher nach einer Baustelle aus als nach dem Foyer eines Architekturbüros. Schutt am Boden, der Raum wie eine Höhle, der man nur über die schmalen Holzbretter entkommt, die tiefer ins Innere des Gebäudes führen. Plötzlich ändert sich die Perspektive, eine weitläufige, lichte Halle erschließt sich dem Besucher. Gemeinsam mit sieben Mitarbeitern plant Goltnik hier, in den Räumen einer ehemaligen Autowerkstatt, seine Projekte; zuletzt hat er etwa den Zubau zur Pädak in Eggenberg verantwortet oder das neue Diözesanmuseum.

Den Weg in das Innere seines Büros bezeichnet er als eine Schwelle zu etwas Anderem hin. Wohin, da ist er sich selbst noch nicht ganz sicher. Aber vielleicht passe es ganz gut, dass er im Annenviertel gelandet ist. Das, sagt der Architekt, stehe ja auch an der Schwelle zu etwas Neuem.

Warum haben Sie Ihr Büro gerade im Annenviertel eingerichtet?

Wladimir Goltnik: Das hat sich zufällig ergeben. Wir hatten in der Nähe schon ein Büro; deshalb kannte ich das Viertel. Der Gries war interessant, weil er für mich noch viel mehr Potenzial hat als der Lendplatz, der schon fertig saniert und bearbeitet ist. Auf die Frage der Maklerin, ob ich nicht ein Problem mit dem Griesviertel hätte, habe ich nur geantwortet, dass ich ja schon hier bin. Ich kenne auch einige Leute ganz gut wie Pfarrer Hermann Glettler. Allerdings ist es recht dörflich hier, und davon war ich in den ersten Wochen selbst überrascht.

Was ist das Attraktive am Annenviertel?

Wladimir Goltnik: Es hat sich noch nicht gefunden. Es ist wie ein Dorf, das innerhalb einer Stadt liegt. Eine Stadt ist ja normalerweise eher anonym, aber hier in unserem Umfeld geht es etwas persönlicher zu. In der Feuerbachgasse, hundet Meter weiter, ist es dagegen bereits wieder anonymer. Vor fünfzehn Jahren hat man sich gar nicht getraut, durch die Feuerbachgasse zu gehen, weil es so dunkel und etwas skurril war.

Interessiert Sie die Gegend auch als Architekt?

Wladimir Goltnik: Es wäre sicherlich sehr interessant, aber ich habe mich für die Neugestaltung am Bahnhof und in der Annenstraße gar nicht beworben. Weil das Geld, das zur Verfügung steht, für dieses Viertel und die Annenstraße nicht ausreicht. Ich hatte das Gefühl, dass zwar mit Vielen gesprochen wurde, aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt hätte. Außerdem gibt es auch Überlegungen den Andräplatz, gleich hier in der Nähe, zu gestalten. Darüber führen wir Gespräche. Es scheint mir aber, dass die Herangehensweise der Stadt etwas unkoordiniert ist.

Wie verändern die Umbauarbeiten das Viertel? Wird es dadurch wirklich attraktiver?

Wladimir Goltnik: Ich denke schon, und das wird man auch in weiterer Folge sehen. Es wird eine ähnliche Entwicklung geben wie um das Kunsthaus. Alles um den Bahnhof herum wird sich stark verändern. Die Situation ist ähnlich zur FH Joanneum, die noch vor 20 Jahren gar nicht existiert hat. Wir werden beobachten müssen, ob da wirklich etwas entstehen kann. Aus meiner Sicht fehlt dafür letztendlich das Geld. Die rund zwei Millionen für die Sanierung und Gestaltung der Annenstraße sind sehr wenig. Und es geht dabei nur um eine reine Gestaltung. Es trifft den Kern der Aufgabe nicht. Gestalten kann man vieles, doch Nachhaltigkeit sieht anders aus. Wenn dann trotzdem von zehn Geschäften vier oder fünf leer bleiben, hat es nichts bewirkt.

Was würden Sie dann als Kern der Aufgabe sehen?

Wladimir Goltnik: Das müsste weit über die Gestaltung hinausgehen. Ich weiß nicht, ob das der Fall ist, aber es ist nicht in dieser Form kommuniziert worden. Aber die Erfahrung zeigt, dass man mit größeren Interventionen, die auch eine soziale Komponente haben, immer eher etwas bewirken kann als nur mit einer reinen Gestaltung.

Was bedeuten die Veränderungen für das Zusammenleben von Migranten und „Einheimischen“, die ersteren gegenüber oft skeptisch eingestellt sind?

Wladimir Goltnik: Das habe ich damit gemeint, dass man durch Gestaltung ein bisschen etwas bewirken kann, dass das aber zu wenig ist. In manchen Vierteln in London hat man mittlerweile den Eindruck, dass einige Migranten inzwischen sehr gute Jobs haben. Bei uns scheint das anders zu sein. Deshalb ist die Angst bei vielen Grazern logischerweise größer, sich selbst da anzusiedeln. Man sollte Migranten die Möglichkeit geben, sich sozial zu engagieren. Außerdem sollten Ihnen besser bezahlte Jobs offen stehen. Damit bekommt das Viertel einen ganz anderen Impuls – nämlich von innen heraus. Im Moment versucht man diesen Impuls von außen zu setzen. Allerdings halte ich die Umsetzbarkeit für schwierig.

Was müsste passieren, damit dieser Impuls von innen heraus umsetzbar wird?

Wladimir Goltnik: Es gibt große Bemühungen, ein gutes Einvernehmen im Viertel herzustellen. Die Kirche mit Pfarrer Glettler ist eine treibende Kraft, die enorm wichtig ist. Vor kurzem habe ich bei einer Besprechung mit der Stadt Graz, Pfarrer Glettler und Vertretern der Häuser rund um das Vinzinest meine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass Pfarrer Glettler nicht so bald wegzieht. Es herrscht hier nämlich Frieden, weil er seinen eigenen Zugang zu diesem Thema hat. Er schließt nichts aus, sondern versucht zu integrieren. Ein Beispiel dafür sind die Messen, an denen Afrikaner teilnehmen und ihre Kultur mit einbringen können. Leider habe ich den Eindruck, dass der Pfarrer mit seinen Bemühungen ziemlich allein gelassen wird.

Warum interessiert sich ein Architekt für diese Themen?

Wladimir Goltnik: Ich setze mich in der Architektur immer wieder mit dem Thema der Schwelle auseinander. Deshalb passt es vielleicht auch gut, dass ich im Annenviertel arbeite. Als „Scherbenviertel“ steht es auch an der Schwelle zu etwas Anderem. Das wird auch in meinem Büro deutlich, der Eingang funktioniert wie eine „filmische Raumschnelle“. Es gibt einige wenige Regisseure, deren Filme weit weg vom Mainstream zum Nachdenken anregen: Was war das jetzt? War das schön? So ähnlich verhält es sich mit meinem Eingang. Man weiß nicht, ob man hier richtig ist. Doch wenn man dann weiter geht, ist die Überraschung umso größer.